Zehn Modalitäten auf einen Streich
Reportage vom 03.03.2020
MEDTECH
Bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas haben innovative Unternehmen ein wahres Gadget-Feuerwerk gezündet. Mit dabei: Ein Diagnosewunder für die Telemedizin.
Ein Fokus liegt auf Homecare-Anwendungen, die darauf abzielen, älteren Menschen ein längeres Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.
Die CES in Las Vegas ist bekanntlich das Mekka der Unterhaltungsindustrie. Rund 180.000 Besucher und 4.500 Aussteller bringen die an sich kleine Wüstenstadt mit dem weltbekannten Casino-Strip vier Tage lang an ihre Kapazitätsgrenze, oder ehrlich gesagt darüber hinaus. Die CES ist auch die weltweit wichtigste Anlaufstelle für Tech-Influencer. Und die suchen nicht zuletzt nach dem neuesten Gadget, der neuesten KI-Anwendung, der coolsten App. In diesem Jahr hatten Medizin und Gesundheit einen größeren Stellenwert denn je: „Die Zahl der Aussteller im Healthcare-Bereich ist im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen“, sagte der CEO der Consumer Trade Association (CTA), die die CES veranstaltet. Und Jill Gilbert, Organisatorin des in die CES integrierten Digital Health Summit, berichtete, dass ein knappes Fünftel der CES sich um Medizin, Gesundheit und Fitness gedreht habe.
Telemonitoring geht auch bequem
Ein Fokus lag dabei auf Homecare-Anwendungen, die darauf abzielen, älteren Menschen ein längeres Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Hier ist beispielsweise eine ganze Reihe von Textilien angesiedelt, die mit Hilfe integrierter Sensorik die Bewegung überwachen und vor allem Stürze melden können. Der Fortschritt der aktuellen Produkte besteht unter anderem darin, dass sie nicht mehr eng auf der Haut getragen werden müssen. So stellte das japanische Unternehmen Xenoma einen bequemen und recht stylischen Schlafanzug vor, der die wichtigsten Überwachungsfunktionen beherrscht, ohne auf Stretch-Materialien zurückzugreifen.
Ebenfalls auf alte Menschen zuhause zielt die Innovationsschmiede ITRI aus Taiwan, eine Art Fraunhofer-Institut, die neben vielen anderen Produkten den Prototyp eines Social Robots namens PECOLA mit nach Las Vegas brachte. Der fungiert einerseits als beweglicher Beistelltisch, misst andererseits aber auch Bewegung, Atemfrequenz, Fieber und anderes mit seinen Kameraaugen. Der Roboter lässt sich mit Alarmierungssystemen aller Art verknüpfen, er ist außerdem als eine Kommunikationsschnittstelle zwischen dem altem Menschen und dessen Angehörigen gedacht.
Balance-Board-Raumschiff für die Schlaganfall-Reha
Reichlich zu bestaunen gab es Rehabilitationsanwendungen aller Art. Das Unternehmen Neofect aus Südkorea hat ein modernes Balance-Board mit zwei Handläufen zu einem laufbandähnlichen System fusioniert, mit dem Schlaganfallpatienten die untere Extremität und den Gleichgewichtssinn nach Entlassung zu Hause trainieren können. Der Clou dabei ist ein Gamification-basiertes Anreiz-System: Durch Gewichtsverlagerung auf dem Board kann in einem Computerspiel zum Beispiel ein Raumschiff gesteuert werden, gleichzeitig misst ein Brustgurt die Position des Oberkörpers, um zu gewährleisten, dass dieser angemessen aufrecht bleibt.
Im Reha-Bereich agiert auch das italienische Startup Sensoria Health, das Orthesen für Knie- und Sprunggelenk mit Bewegungssensoren ausstattet, die Gelenkbeweglichkeit in neun Achsen erfassen können. Die Orthesen zielen auf die Nachbetreuung von Patienten nach Gelenkoperationen oder Gelenkersatz, kommen aber auch bei der Ganganalyse bei Parkinsonpatienten zum Einsatz. Im Rahmen des EU-Förderprojekts YourKnee werden die intelligenten Orthesen demnächst nach Gelenkersatz mit personalisierter, 3D-Druck-gestützter Endorprothetik eingesetzt, letztere von dem ebenfalls italienischen Unternehmen Rejoint.
Zehn auf einen Streich
Ein Highlight der diesjährigen Show war das Tool MedWand, das von dem gleichnamigen US-Startup hergestellt wird und den prestigeträchtigen CES-Award „Last Gadget Standing“ eingeheimst hat. Das Gerät ist so groß wie eine ordentliche Kartoffel und vereint ein breites Spektrum an diagnostischen Modalitäten in sich, die bei einer basismedizinischen Abklärung eines Patienten hilfreich sein können. So gibt es elektrische Sensoren, mit denen ein EKG aufgezeichnet wird und die als Stethoskop fungieren. Es gibt eine sehr leistungsfähige Kamera für die Hautuntersuchung, die mit kleinen Aufsätzen in ein Otoskop und einen Rachenspiegel verwandelt werden kann. Eine Infrarotkamera dient ophthalmologischen Fragestellungen, und außerdem ist Sensorik für Sauerstoffsättigung, Herzschlag und Atemfrequenz sowie für die Temperaturmessung integriert.
Das Ganze ist was die Handhabung angeht sehr einfach gehalten. Das anvisierte Einsatzszenario sind Patienten, die eine etwas intensivere Betreuung benötigen, ohne dass sie gleich ins Krankenhaus eingewiesen werden sollen, außerdem Patienten in stationärer Nachsorge. Diese Patienten nutzen das MedWand-Device unter unmittelbarer Anleitung eines per Videosprechstunde zugeschalteten Arztes, der an seinem Arbeitsplatz die Herztöne und Atemgeräusche direkt hört bzw. die Kameraaufnahmen direkt sieht und den Patienten so dirigiert, dass das Tool für die jeweiligen Fragestellungen optimal platziert ist. Auf diese Weise wird das MedWand-Device zu einer Art Thermomix für den Tele-Doktor, ein Multifunktions-Tool am verlängerten Arm des Arztes, das dessen qua Videoverbindung limitierte diagnostische Möglichkeiten deutlich erweitert.
Philipp Grätzel von Grätz/ E-HEALTH.COM
Bildquellen © ITRI