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E-Health-Reportage

Therapie aus einem Guss: die Medizinische Televisite Rheingau
Reportage vom 23.04.2018
Steigende Patientenzahl und ein zunehmender Mangel an Fachkräften: Wie man trotzdem eine qualitativ-hochwertige Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum gewährleisten kann, beweist ein Projekt des Krankenhausverbunds des St. Josefs-Hospitals im Rheingau-Taunus-Kreis.

Statt bei den Patienten verbrachten die Mediziner früher viel Zeit auf der Straße.

Die Digitalisierung ist inzwischen ein wichtiger Teil unseres Lebens. Und bietet dabei unzählige Möglichkeiten. Das wird im Erdgeschoss des St. Josefs-Hospitals Rheingau in Rüdesheim deutlich. Dort befindet sich seit rund einem Jahr ein moderner Videokonferenzraum. Zwei große Bildschirme hängen an der Wand, mehrere kleine Monitore stehen auf einem Tisch, eine Kamera ist auf die Stuhlreihen gerichtet. „Wir führen hier regelmäßig Konferenzen und Fallbesprechungen durch“, erklärt Dr. Markus Schubert, Chefarzt der Inneren Medizin und Ärztlicher Direktor. Mit „Wir“ meint Dr. Schubert nicht nur die Mediziner aus Rüdesheim, sondern auch vom Otto-Fricke-Krankenhaus Bad Schwalbach und dem St. Josefs-Hospital Wiesbaden. Denn seit 2016 bilden die drei Einrichtungen einen regionalen Klinikverbund.

In der Praxis läuft das zum Beispiel so ab: Wenn ein Patient mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung in Rüdesheim eingeliefert wird, führen die dortigen Ärzte nicht nur die wichtige Erstversorgung durch, sondern veranlassen selbstverständlich auch ein umfassendes CT und MRT. Sollte beispielsweise eine Fraktur zu erkennen sein, ziehen die Rüdesheimer Mediziner ihre Kollegen aus Wiesbaden hinzu. Denn dort sitzen die zuständigen Spezialisten im Wirbelsäulenzentrum für derart komplizierte Operationen. Dank der modernen Technik können sich nun beide Seiten die Aufnahmen anschauen und besprechen. So können sie gemeinsam die weitere Behandlung oder einen Transport nach Wiesbaden planen. „Vorher hätten wir die Aufnahmen auf eine CD gebrannt und wären damit selbst zur Fallbesprechung nach Wiesbaden gefahren“, sagt Dr. Markus Schubert. Statt bei den Patienten verbrachten die Mediziner viel Zeit auf der Straße.

Digitalisierung aktiv gestalten

„Wie viele Kliniken im ländlichen Raum sehen wir uns mit großen Herausforderungen konfrontiert“, erklärt Klinikleiter Jens Gabriel. Steigende Patientenzahlen bei einem gleichzeitigen Rückgang an Fachpersonal. „Unser Ziel war es, dieselbe Qualität und dieselben Standards in allen drei Krankenhäusern bieten zu können“, so Gabriel. „Daher haben wir nach neuen Wegen gesucht, um dem steigenden Arbeitsaufkommen Herr zu werden.“ Das Ergebnis ist ein maximaler Grad an Vernetzung – und eine Lösung, bei der neben Video und Ton auch Bildmaterial in höchster Qualität geteilt werden kann. „Wir wollen uns nicht der Digitalisierung ergeben, sondern sie aktiv gestalten.“ Die „Medizinische Televisite Rheingau“ soll Ärzte und Pflegepersonal in ihrem Arbeitsalltag unterstützen – und sie nicht ersetzen, betont Jens Gabriel.

Dr. Markus Schubert ist jedenfalls begeistert von den neuen Möglichkeiten. „Gerade unser wöchentliches Tumorboard ist eine Bereicherung für uns, aber letztlich vor allen für die Patienten. Denn insbesondere in der Onkologie müssen die verschiedenen Experten – zum Beispiel Strahlentherapeut, Pathologe, Chirurg und Fachärzte – bestmöglich zusammenarbeiten. „Früher sind wir im Team zu den Kollegen gefahren und haben dort alle Fälle besprochen“, erinnert sich Schubert. „Jetzt schalten wir uns kurz dazu und reden nur noch über unsere eigenen Patienten und loggen uns danach direkt wieder aus.“

Intensivere Betreuung und trotzdem mehr Zeit

Doch damit nicht genug: Seit 2017 hat der Klinikverbund die ‚Medizinische Televisite Rheingau’ auf den Bereich der niedergelassenen Ärzte ausgeweitet. Inzwischen sind zusätzlich 17 niedergelassene Haus- und Fachärzte Teil des Projekts. Schließlich sind auch sie mit ähnlichen Problemen konfrontiert: Viele ältere, oft multimorbide Patienten treffen auf immer weniger Ärzte. Eine optimale Versorgung wird immer schwieriger. Dr. Matthias Marks ist hausärztlich tätiger Internist im Weinort Oestrich-Winkel. Er versucht, dieser Herausforderung mit gleich zwei Maßnahmen zu begegnen. So beschäftigt er eine sogenannte NäPa, eine nicht-ärztliche Praxisassistentin. Sie kümmert sich vorwiegend um die Themen Nachsorge und Wundversorgung und übernimmt einen großen Teil der Hausbesuche. Immer mit dabei: ein mobiles Endgerät. Bei Bedarf kann sie so Rücksprache mit Dr. Marks halten und ihm beispielsweise eine schlecht heilende Wunde zeigen. „Wenn es notwendig ist, fahre ich natürlich selbst nochmal raus “, erklärt er. Und über die Televisite kann Marks zusätzlich die Experten aus dem JoHo Rheingau hinzuschalten. „Wir bieten so gerade den immobilen Patienten eine Therapie aus einem Guss.“ Und das kommt gut an: „Wir ersetzen ja nicht den persönlichen Kontakt – im Gegenteil“, erklärt Dr. Matthias Marks. „Dadurch dass nicht nur ich, sondern auch meine NäPa rausfährt, ist die Betreuung intensiver als zuvor – und das wissen meine Patienten zu schätzen.“

Sollte Bedarf an Expertise aus der Klinik bestehen, geht der Piepser von Anke Lomott an. Sie ist Wundexpertin in Rüdesheim und zusätzlich die Koordinatorin der Medizinischen Televisite Rheingau. „Je nach Fall hole ich dann einen unserer Ärzte hinzu oder kann selbst Ratschläge geben“, erzählt sie. Gerade bei Patienten, die vorher stationär in der Klinik waren, bietet der Service einen Mehrwert für alle Seiten: „Sonst haben wir die Patienten erst nach vier Wochen wieder gesehen, über die Televisite sind wir jetzt sogar deutlich näher dran, weil wir auch zwischendrin eingebunden sind.“ Was sie beeindruckt: „Die Bedienung der Technik ist kinderleicht und die Bildqualität richtig gut.“ Um die Technik kümmern sich die IT-Experten der Klinik um Nicolai Werner. „Sicher und simpel – das war unser Anspruch, um auch unsere älteren Mitarbeiter für den Service zu gewinnen.“ Als nächste Stufe planen Nicolai Werner und seine Mitarbeiter, ein Terminportal zu integrieren. So könnten die niedergelassenen Partner spezielle Zeitfenster bei den Ärzten im Krankenhaus buchen – vergleichbar mit einer Online-Sprechstunde.“

Ziel: Vollabdeckung

Und auch sonst arbeiten die Verantwortlichen des Klinikverbunds daran, noch mehr Leistungserbringer zu integrieren. „Wir haben bereits einen ambulanten Pflegedienst und ein Pflegeheim als Partner gewinnen können und wollen langfristig weitere Sozialdienste, Vereine und Ehrenämtler mit ins Boot holen“, sagt Jens Gabriel. Besonders für Heime bietet sich die Telemedizin an. Denn bei jedem Arzt- und Klinikbesuch müssen die Patienten von einem Pfleger begleitet werden – der in der Zeit natürlich nicht einsetzbar ist. „Gerade bei Allergien oder Wunden könnte man wertvolle Ressourcen einsparen, ohne die medizinische Versorgung zu vernachlässigen“, fasst Chefarzt Dr. Markus Schubert die Vorteile zusammen. „So können wir uns optimal mit den verschiedensten Einrichtungen um die Gesundheit unserer Patienten im Rheingau kümmern.“

Science Fiction im Rheingau

Zudem sollen künftig nicht nur Bilder, sondern auch klinische Parameter wie Blutwerte und EKGs direkt ins System eingespeist werden. „Wir testen gerade den Prototypen eines 3-Punkt-Messgeräts“, erklärt Schubert sichtlich begeistert und hält ein kleines Gerät hoch – nicht größer als ein Smartphone. „Oft kommen Patienten zu uns und klagen über einen unregelmäßigen Herzschlag, beim EKG ist aber alles in Ordnung“, so Schubert. Ein klassischer Vorführeffekt. „Das Gerät können sie mit nach Hause nehmen und sobald die Probleme auftreten, direkt für ein Schnell-EKG auf die Brust legen.“ Die Ergebnisse werden direkt per E-Mail an den behandelnden Arzt übertragen. Was klingt wie Raumschiff Enterprise, könnte im Rheingau bald schon Alltag sein.